

Karaoke-Erfinder
Ei dit it mei wäääihhhhh!!!
Sie ist die
Performance-Krücke für verkannte Goldkehlchen und betrunkene
Rampensäue: Vor 40 Jahren begann der Siegeszug der Karaoke-Maschine.
Ihren Erfinder aber kennt kaum jemand. einestages über den Unglücksraben, der die ganze Welt zum Singen brachte - und trotzdem kein Millionär wurde.
Am
Ende bekam er doch noch, was er verdiente. "You're just too good to be
true, can't take my eyes off of you" schallte es Daisuke Inoue im Jahr
2004 aus unzähligen begeisterten Kehlen entgegen. Etwas schüchtern nahm
der Japaner mit dem graumelierten Haar und der großen Brille seinen
Ig-Nobelpreis entgegen. Die Spaßnobelpreise werden jährlich für
seltsame wissenschaftliche Errungenschaften verliehen. Er erhielt
seinen in der Kategorie "Frieden".
Was hatte Inoue, von dem die meisten bis dahin noch nie gehört
hatten, Besonderes geleistet? Der Mann aus Osaka, so der Laudator, habe
"eine völlig neuartige Methode entwickelt, den Menschen beizubringen,
sich gegenseitig zu tolerieren". Inoues Rezept für bessere
Völkerverständigung: eine Bühne, ein Bildschirm, ein Mikrofon - und ein
Raum voller Menschen, die auf einen Schlag alle Contenance über Bord
werfen, um mit großen Gesten und schiefen Noten ihre liebsten Hits
nachzusingen. Daisuke Inoue ist der Erfinder der Karaoke-Maschine und
könnte heute steinreich sein - hätte er nicht einen entscheidenden
Fehler gemacht.
Alles begann Anfang der siebziger Jahre in Kobe. In der japanischen
Küstenstadt circa 400 Kilometer südwestlich von Tokio waren viele
kleine Bars entstanden, in denen Live-Musiker auftraten. Manchmal
enterten Leute aus dem Publikum die Bühne, die ihre eigenen
Gesangskünste vorführen wollten. Dann hatte die Band für ein oder zwei
Stücke einen neuen Sänger. Auch Daisuke Inoue, der seit der Highschool
Schlagzeug spielte, tingelte damals als Musiker durch die Kneipen.
Begeisterung aus der Konserve
Eines Tages hatte Inoue eine Idee: Vielleicht würden Barbesucher auch
zu Tonbandaufnahmen singen? 1971 tüftelte der damals 31-Jährige einen
Kassettenrecorder, einen kleinen Gitarrenverstärker und ein Mikrofon
zusammen, baute alles in einen kleinen rot-weißen Holzkasten und versah
das Ganze mit einem Münzeinwurf. Karaoke - zu Deutsch: leeres Orchester
- hatte mit dieser ersten Mitsingmaschine das Licht der Welt erblickt.
Und die Leute waren begeistert. Schon bald musste Inoue weitere Geräte
konstruieren. Zudem ließ er Hunderte Songs von örtlichen Musikern
einspielen, in mittleren Tonlagen, damit jeder die Töne treffen konnte.
Die Karaoke-Maschinen verlieh er an die Kneipen in Kobe, die
Musikkassetten und die Texte, die er zu einem Buch binden ließ,
lieferte er gleich mit.
Mitte der Siebziger vertrieb Inoue seine Karaoke-Maschinen bereits in
Osaka und Tokio, und bald darauf eroberte er ganz Japan. Mit einem
Kleinbus, auf dem das Wahrzeichen seiner Firma Crescent - ein großer
Plastikgorilla - thronte, fuhr er durchs Land und lieferte seinen
Kunden neue Musikkassetten und Ersatzmikrofone.
In einem Atemzug mit Gandhi
Doch Inoue hatte etwas Entscheidendes vergessen. Er meldete kein Patent
auf seine Maschine an. Der Geschäftsmann glaubte nämlich, gar nichts
erfunden zu haben. Schließlich hatte er nur bereits bestehende
Technologien zusammengefügt. Zudem kosteten die notwendigen Anträge bei
den Behörden Tausende Dollar. "Ich dachte, warum soll ich dafür so viel
Geld bezahlen?", erzählte er 2007 dem amerikanischen Journalisten Brian
Raftery in einem Interview für dessen Karaoke-Buch "Don't stop
believin'. How Karaoke conquered the world and changed my life".
Inoues Bescheidenheit machten sich schließlich andere findige
Unternehmer zunutze. Ende der Siebziger begannen mehrere Firmen mit der
Produktion von eigenen Karaoke-Geräten. Der Umsatz von Inoue begann zu
sinken. In den Achtzigern neigte sich dann das analoge Zeitalter seinem
Ende zu, und die Karaoke-Bars entsorgten nach und nach die Maschinen,
die noch mit Kassetten funktionierten.
1993 erlitt Daisuke Inoue einen Nervenzusammenbruch und verbrachte drei
Monate in der Psychiatrie. Er habe zwar gut verdient, zu schaffen
machte ihm aber eine gewisse Leere ohne Ziel, wie er 2005 dem
Wirtschaftsmagazin "Brand eins" erzählte.
Gegen die Kakerlaken!
Als der gebeutelte Unternehmer danach wieder ins Geschäftsleben
einstieg, hatte er eine neue Idee: Inoue entwickelte einen kleinen,
silberfarbenen Kasten, der nachts giftige Gase freisetzte und
Kakerlaken tötete, die sich in den Karaokemaschinen einnisten und die
Kabelfraßen. Ein Treppenwitz, dass Inoue mit dieser Erfindung
ausgerechnet den Firmen half, die ihm seine Erfindung abgeluchst
hatten.
Dass die Karaoke-Maschine eigentlich seine Idee gewesen war, schien er
zu diesem Zeitpunkt schon fast vergessen zu haben. Und auch die Welt
mochte sich anscheinend nicht an den glücklosen Tüftler ohne Patent
erinnern. Doch dann veröffentlichte das asiatische "Time"-Magazin 1999
eine Liste mit den hundert einflussreichsten Asiaten des 20.
Jahrhunderts. Unter ihnen, zwischen Namen wie Mao Zedong oder Mahatma
Gandhi: Daisuke Inoue. Er habe geholfen, so die Begründung der
Zeitschrift, den Stummen eine Stimme zu verleihen, und damit die
asiatischen Nächte verändert.
In der Tat hat Inoue mit seinem Einfall eine wahre Kulturrevolution
losgetreten. Vor allem in seinem Heimatland finden sich heute an fast
jeder Straßenecke Karaoke-Läden. Traditionell singen die Japaner gerne
in kleinen, separaten Räumen, sogenannten Karaoke-Kabinen. Man kann
aber auch Etablissements im Raumschiff-Design mieten, in Karaoke-Taxis
trällern oder zum Mikrofon greifen und gleichzeitig im Whirlpool
entspannen. Der eher zurückhaltende Inoue selbst probierte seine eigene
Erfindung trotz des reichhaltigen Angebots erst an seinem 59.
Geburtstag aus.
Der Traum, die Menschen zum Singen zu bringen
Trotzdem kennt der bescheidene Tüftler die Wirkung seiner Erfindung
genau: "Ich glaube, dass Karaoke geholfen hat, die Japaner zu
verändern", erklärte er 1999 in der asiatischen Ausgabe des "Time"
Magazins, angeblich seien sie schlecht darin, in der Öffentlichkeit aus
sich herauszugehen. "Aber gib einem Japaner ein Karaoke-Mikrofon, und
derselbe Mann, der Probleme hat, eine Hochzeitsrede zu halten, will nie
wieder aufhören."
In seiner Dankesrede bei der Verleihung des Ig-Nobelpreises 2004
erzählte Inoue den Anwesenden in gebrochenem Englisch von seiner
Vision: "Eines Tages hatte ich einen Traum, den Menschen das Singen
beizubringen, also erfand ich Karaoke. Ich wusste nicht, dass es der
Anfang von etwas Großem sein würde. Jetzt will ich mehr denn je der
Welt beibringen zu singen - in perfekter Harmonie." Die darauf
folgenden Standing Ovations waren die bis dato längsten in der
20-jährigen Geschichte des Ig-Nobelpreises.